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Markus Kupferblum

Shipping Adele

Shipping Adele – the last journey of Klimt’s Muse

Dramatis personae:

Die goldene Adele

Die junge Adele

Gustav Klimt

Egon Schiele

Edwin, ein Rechtsanwaltsanwärter

E. Randol Schönberg, Rechtsanwalt

Kapitulation

alles was du sagst

das stimmt

nicht umsonst

heißt schiele klimt

Andreas Okopenko

Eine Schiffskabine. Edwin, ein nervöser junger Mann, gut gekleidet, streift um ein Gemälde, das sehr sorgfältig und sicher verpackt ist.

Er öffnet es langsam, zögerlich und vorsichtig.

Er öffnet die Verpackung an der Oberseite und rollt sie etwas hinunter bis Adele gut sichtbar wird. Es ist die „Goldene Adele“. Er stellt das Gemälde auf einen Stuhl und betrachtet es.

Edwin:

Es ist wirklich ein wundervolles Gemälde! Diese Farben! Gustav Klimt hat alle Details so plastisch gemalt, dass man fast hingreifen wollte, wenn - es nicht das wertvollste Gemälde der Welt wäre...bei der Auktion überboten sich sämtliche Millionäre der Welt, von Dubai bis Los Angeles, von Oslo bis Kapstadt...alle wollten sie besitzen, die Goldene Adele...und jetzt ist sie hier...bei mir....am Weg nach New York City...

Er schenkt sich einen Whiskey ein und betrachtet es einige Zeit in seiner ganzen Schönheit.

Die Figur Adeles tritt aus dem Gold hervor, als wäre sie lebendig. Wie schön sie ist. Richtig perfekt! Ich verstehe schon, warum Frau Altmann so viele Jahre darum gekämpft hat, sie wiederzubekommen. Es ist ein absolutes Meisterwerk. Wie sie glänzt! „Wie tausend Sonnen“ soll Adeles Ehemann damals gesagt haben...ja, und wie die Augen von Ronald Lauder, als er den Zuschlag bekommen hatte. Da war ich dabei! Mit einem Poker Face hat er sämtliche Mitbieter ausgestochen, 106,7 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt und das Gemälde nach New York City geschickt! Coole Aktion, wirklich... ein eindrucksvoller Mann!

Dann beginnt er, es wieder einzupacken.

Die goldene Adele (mit der Sprache einer älteren Jüdin, laut, direkt, mit starkem jiddischen Akzent):

Nein, noch nicht! Lassen Sie mich noch etwas atmen! Wissen Sie, wie lange ich keine Meerluft mehr gerochen habe? Es ist ewig her!

Edwin:

Wie bitte?

Die goldene Adele:

Das muss in Grado gewesen sein, 1923 oder 1924. Was weiß denn ich...

Edwin:

Wer sind Sie, wer spricht da?

Die goldene Adele:

Ich, Adele! Wer glauben Sie denn sonst? Was schauen Sie so? Können Sie mich zum Fenster drehen? Bitte! Ich will hinausschauen. 60 Jahre immer nur der Belvederegarten! Ich kann Ihnen sagen, das reicht als Ausblick – noch dazu aus so einem ungünstigen Winkel. Man hat mich so gehängt, dass ich ausgerechnet auf das Salesianerkloster geschaut habe. 60 Jahre lang! Ich, als alte Jüdin, auf den katholischen Tempel der Scheinheiligkeit! Waren alles Antisemiten und Revisionisten! Dabei hätte ich viel lieber den weiten Blick bis zum Kahlenberg gehabt, zum Cobenzel, wo meine Mutter immer Bridge gespielt hat am Samstag Nachmittag... oder wenigstens zum 4. Bezirk! Wir hatten früher in der Schwindgasse gewohnt, bevor wir in die Elisabethstraße übersiedelt sind...die hätte man fast sehen können aus dem Fenster....aber kein Gespür haben die Österreicher. Das hatten sie nie. 60 Jahre lang das Salesianerkloster! Drehen Sie mich schon!

Edwin:

Ja, selbstverständlich, sofort!

Er dreht das Bild zum Kabinenfenster.

Es geht nicht auf. Sorry. Ist ein Außendeck. Gleich beim Rettungsboot übrigens. Darauf hat Dr. Schönberg bestanden. Man weiß ja nie.

Nimmt noch einen Schluck

Mir ist das auch nicht ganz unrecht. Ganz geheuer ist es mir hier nicht... ehrlich gesagt. Etwas viel Wasser da draußen. Und sicherlich immernoch viel zu viele Fische da unten. Ehrlich gesagt, ich muss das nicht haben. Ich habe noch nie so eine lange Schiffsreise gemacht.

Die goldene Adele:

Ich auch nicht. Ein schöner Blick, diese Weite. Wenn’s nicht so finster wäre... Mein Vater war der Direktor der Orient Bahnen. Wir sind nie mit dem Schiff gefahren. Damals konnte man mit der Eisenbahn von Wien bis nach Damaskus fahren und von dort weiter bis nach Kabul. Wozu hätte man da ein Schiff nehmen sollen?

Meine Cousine ist nach Buenos Aires ausgewandert, 1921. Sieben Wochen am Schiff... sie dachte, sie würde dort ein besseres Leben haben...und recht hat sie gehabt! Wenn wir damals gewußt hätten...

Edwin:

Sie sind in Wien geblieben...

Die goldene Adele:

Ja, selbstverständlich, junger Mann! Das hätte sich damals ja niemand vorstellen können, was später passiert ist. Niemand! Wien war eine herrliche Stadt! Ich hatte nicht den geringsten Grund, weg zu wollen. Um keinen Preis hätte ich diese Stadt verlassen!

Edwin:

Wegen Klimt?

Die goldene Adele:

Der war damals doch schon tot! Wegen Ferdinand, meinem Mann und wegen Wien! Ich hab sie geliebt, diese Stadt! Alles war möglich, überall, an jeder Ecke entstand etwas Neues – in der Kunst, in der Wissenschaft, in der Mode! Alles war möglich – und sein Gegenteil. Oft haben die Vertreter der unterschiedlichsten philosophischen Richtungen Tür an Tür gewohnt, die Künstler mit den unvereinbarsten Ansichten waren Stammgäste im selben Café! Wien war eine Stadt voller Gegensätze, lebendig und unberechenbar! Es war eine kulturelle und wissenschaftliche Hochblüte, wie sie Österreich, ja ganz Europa bis dahin nie erlebt hatte. Keiner hat sich je vorstellen können, dass das irgendwann einmal zu Ende geht - und noch dazu so bald. Wien war die modernste Stadt der Welt! Die sozialdemokratischen Ideen wurden umgesetzt! Eine nach der anderen! Wien hat zu blühen begonnen! Das Leben ist immer besser und schöner geworden! Und glauben Sie mir, ich habe jeden Augenblick genossen! Jeden!

Edwin trinkt noch einen Schluck.

Ich war jung und schön damals! Wie hätte ich das Leben nicht genießen können?

Bei uns sind sie alle aus und ein gegangen. Mein Mann liebte große Feste und alle sind gekommen – Gustav Mahler, Sigmund Freud, Grete Wiesenthal, Ludwig Wittgenstein, Peter Altenberg, Stephan Zweig, Egon Friedell und einmal sogar Karl Kraus, der war aber aufgebracht wegen irgendeinem Eisenbahndirektor, den mein Mann eingeladen hatte. Er machte eine zynische Bemerkung über die Südbahn, die alle sehr witzig fanden, und der Direktor verließ sofort das Haus. Mein Mann mußte sich dann bei ihm entschuldigen und lud Kraus nie wieder ein.

Edwin:

Und Gustav Klimt?

Die goldene Adele:

Ja, kurz nach unserer Hochzeit habe ich Klimt kennengelernt! Ebenfalls bei uns im Wohnzimmer! Ich war gerade 18 Jahre alt. Er hatte den Garten unserer Villa gemalt, aber mein Mann fand, dass die Farben nicht zum Teppich passten. Klimt wollte ihn überreden, es doch zu nehmen und in ein Kabinett zu hängen, wo es farblich besser hinpasste. Da haben wir uns zum ersten Mal gesehen. Er sagte, er wußte garnicht, dass Ferdinand verheiratet war. War er ja auch noch nicht lange. Er lud mich zu sich ins Atelier. Der Garten und der Teppich waren vergessen.

Edwin:

Und dann?

Die goldene Adele:

Dann...

  1. Rückblende:

Klimt:

Wieso schauen Sie so, Adele? Waren Sie noch nie in einem Maler Atelier?

Die junge Adele:

Nein, ehrlich gesagt nicht. Es riecht so stark nach Farbe und nach Terpentin. Herrlich! Das sind ja unglaublich viele Bilder! Verkaufen Sie sie nicht?

Klimt:

Doch schon... nur nicht alle auf einmal! Die sind für meine nächste Ausstellung.

Die junge Adele:

Und diese Skizzen? Darf ich? Was wird das?

Klimt:

Das Deckengemälde für eine Villa in Brüssel. Ein reicher Kaufmann.... will einen Speisesaal im Wiener Stil. Josef Hoffmann macht die Möbel, und ich die Dekoration. Ein schöner Auftrag.

Die junge Adele:

Ein richtiges Deckenfresko?

Klimt:

Früher hatte ich mit meinen Brüdern eine Firma, da haben wir einige solcher Aufträge bekommen. Aber in den letzten Jahren male ich fast nurmehr auf Leinwand. Das ist befriedigender. Konzentrierter.

Die junge Adele:

Es ist unglaublich, wie Sie sich das so vorstellen können...das muss ja alles schon fertig in Ihrem Kopf sein, also was Sie da malen werden und wo.

Klimt:

Das ist nicht so kompliziert... es gibt so viele Geschichten, Mythen, die einen inspirieren! Da ist das Malen selbst schon schwieriger. Sie können sich nicht vorstellen, wieviele Wochen ich am Gerüst im Neuen Burgtheater verbracht habe...das Amphietheater von Taormina... die Idee hat man schnell... aber das Malen, meine Liebe, das Malen! Wochenlang in 15 Meter Höhe am Rücken liegen!

Sehen Sie, das ist eine Allegorie der Liebe.

Die junge Adele:

So viel Gold!

Klimt:

Ja, Liebe muß glänzen!

Die junge Adele:

Immer glänzt die Liebe nicht. Die kann mitunter auch recht blutrünstig sein! Kennen Sie die Geschichte von Judith und Holofernes?

Ich hab sie gerade gelesen! Von Nestroy und von Hebbel!

Klimt:

Von Nestroy?

Die junge Adele:

Ja, Johann Nestroy! Karl Kraus hat unlängst geschrieben, wie wichtig Nestroy für das österreichische Theater ist und dass es ein Skandal ist, dass seine Stücke seit dessen Tod nicht mehr gespielt werden. Und da habe ich seine Judith gelesen. Er hat recht. Nestroy ist wirklich gut und amüsant. Das perfekte Volkstheater.

Schauen Sie nicht so! Wenn ich als Frau schon nicht studieren darf, dann lese ich wenigstens jeden Tag ein Buch! Mein Vater hat alles probiert, um beim Kaiser eine Ausnahmegenehmignug zu erlangen, damit ich studieren darf. Er ist immerhin der Dirketor des Wiener Bankvereins und Präsident der Orientbahnen. Aber da ist nichts zu machen. „Dann würden ja bald alle Frauen studieren wollen“, sagte der Kaiserliche Rat, und das wäre unvorstellbar.

Klimt:

Die Judith, Sie könnten meine Judith sein.

Die junge Adele:

Nehmen Sie sich in Acht! Judith hat ihren Holofernes geköpft!

Klimt:

Darf ich Sie malen?

Die junge Adele:

Das ist aber nicht Ihr Ernst.

Klimt:

Doch! Natürlich! Ich wollte immer schon die Judith malen, jungfräulich und stark, und jetzt steht sie vor mir!

Die junge Adele:

Sie können mich doch nicht malen! Ich bin doch kein Modell! Ich habe das noch nie gemacht.

Klimt:

Stellen Sie sich da hin!

Die junge Adele:

So?

Klimt:

Ja. Von vorne. Und bitte ziehen Sie Ihr Kleid aus!

Die junge Adele:

Ich bin verheiratet!

Klimt:

Das ist nicht für mich, das ist für die Kunst! Und jetzt halten Sie still!

Die goldene Adele:

Ich habe ihn geliebt! Ganz anders, als meinen Mann! Ferdinand war der beste Mensch, den ich jemals getroffen habe! Ich liebte ihn mehr, als alles andere auf der Welt! Wir waren ein wunderbares Gespann, wie man so sagte. Gemeinsam haben wir sehr, sehr viel bewegt. Er war so großzügig und liebte es, zu gestalten. Aber Gustav war so leidenschaftlich und so bestimmt... alles an ihm war aufregend.

Die Judith wurde ein großer Erfolg. Ferdinand durfte ja nicht wissen, dass ich das war. Ich war ja nackt. Danach haben wir gleich noch eine zweite Judith gemacht.

2.Rückblende:

Die junge Adele:

Unsere Judith ist ein durchschlagender Erfolg! Sogar Arthur Roessler war begeistert, und der lässt an keinem jungen Maler so schnell ein gutes Haar... ich hab den Artikel ausgeschnitten!

Klimt:

Bei so einer schönen Judith!

Die junge Adele:

Psst, Du Lieber, das darf keiner wissen! Sonst ist meine Ehe beim Teufel!

Klimt:

Adele, meine verschwiegene Muse...

Die junge Adele:

Ja, Du wirst mich gefälligst verschweigen, aber schweigsam bin ich deshalb nicht!

Klimt:

Weißt Du was, wir machen eine zweite Judith! Ich male eine zweite Judith! Ich weiß schon wie, engelsgleich und mit wachem und klaren Blick, steht sie da, und hält den Kopf von Holofernes an seinen Haaren. Sie tötet aus purer Tugend.

Die junge Adele:

So?

Klimt:

Zieh Dich aus! Ich muss Dich von oben malen.

Die goldene Adele:

Nach der zweiten Judith wurde Gustav zur Biennale nach Venedig eingeladen. Das war sein internationaler Durchbruch.

Ich habe Gustav von Anfang an ein bißchen unter die Arme gegriffen. Er hat zwar schon recht gut verdient, aber er hatte ja auch viele Ausgaben! Ich wollte nicht, dass er sich um irgendetwas sorgen müsste.

Ferdinand war einverstanden, ihn zu unterstützen und hat zugestimmt, dass er ein Portrait von mir malt. Sie haben es „Goldene Adele“ genannt. Dafür hat Ferdinand 20.000 Kronen bezahlt, soviel, wie nie zuvor für ein Portrait gezahlt worden war. Gustav war somit der bestbezahlteste Künstler der Welt.

Die anderen haben ihn dafür natürlich gehasst... die ewige Eifersucht... einige Malerkollegen sagten über mein Portrait: „Mehr Blech als Bloch“- wegen dem vielen Gold... und ein Kritiker hatte es besonders auf ihn abgesehen. Er schrieb: „Ich habe nichts gegen nackte, gegen freie Kunst, nur etwas gegen häßliche Kunst“ und das war nicht alles: Jemand zeigte Gustav bei der Staatsanwaltschaft an, die dann eines seiner Bilder beschlagnahmte. Aber keines, wo ich drauf war. Hätte er nicht früher einmal den „Kaiser Preis“ für das Gemälde des alten Burgtheaters erhalten, das er gemalt hatte, bevor es abgerissen wurde, wäre er noch glatt ins Gefängnis gegangen. Für die Menschen waren damals selbstbewußte Frauen skandalös! Selbstbewußt und nackt! Das war zuviel!

Edwin:

Das war sicher außergewöhnlich damals!

Die goldene Adele:

Weiß Gott, dass es heute anders ist! Wir waren mutig damals! Wir haben ein neues Selbstbild entwickelt - in keiner Beziehung mehr fremdbestimmt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir Frauen haben zum ersten Mal über unserern Körper bestimmt. In der Sexualität und in der Mode. Und wir waren am Puls der Zeit.

Edwin:

Klimt war ja auch mit dieser Modeschöpferin befreundet!

Die goldene Adele:

Ach ja, Emilie Flöge! Eine magere, große Frau, die Emilie. Sie war ein echter Star.

  1. Rückblende:

Die junge Adele:

Du lässt Dir alles von ihr gefallen!

Klimt:

Adele, sie ist großartig! Eine wunderbare Künstlerin! Sie ist die einzige Frau, die ich jemals heiraten würde!

Die junge Adele:

Kein Wunder! Deine anderen Liebhaberinnen sind ja alle schon verheiratet...

Klimt:

Es ist wunderschön was sie macht, und sie ist sehr erfolgreich – zurecht, Adele, Du weißt das!

Die junge Adele:

Weil Du die Kleider für sie entwirfst!

Klimt:

Einige Stoffmuster! Aber sie macht die Schnitte! Und die sind großartig! Sei doch ein bißchen gerecht! Du bist doch sonst so vernünftig...

Die junge Adele:

Selbst das Kleid auf Eurem „Kuß“ stammt von Dir! Ich freu mich für Dich! Wirklich! Ich bin nicht eifersüchtig! Es ist auch ein außergewöhnliches, berührendes Gemälde!

Die goldene Adele:

Sie hatte ihren Modesalon in der Mariahilferstraße, genau über dem „Café Casapiccola“, in dem immer die italienischen Gastarbeiter gesessen sind – und Adolf Loos – wegen Lina, deren Eltern das Café gehört hatten. Die haben dann ja später geheiratet, nachdem sich Loos taufen hat lassen. Und Loos war dann der Taufpate von Egon Friedell... damals waren alle Wiener, waren es und wollten es bleiben. Kein Mensch hatte den Karl Lueger ernst genommen, der gegen die Juden gehetzt hat. Gerade der, der fast ausschließlich in jüdischen Kreisen verkehrt ist. Unsere Religion war die Moderne. Wir wollten Gottes Schöpfung verstehen, bis ins letzte Detail, und sie vervollkommenen, indem wir die Welt für möglichst viele ihrer Bewohner zu einem Paradies machen wollten.

Und dann, Sie müssen sich das vorstellen, junger Mann, 1908 hatten die Frauen endlich das Wahlrecht, Arthur Schnitzler schrieb das Fräulein Else und Emilie Flöge entwarf das sogenannte Reformkleid. Ein Kleid ganz ohne Krinulienen. Ganz schmal und anliegend, dass die Körperformen der Frau gut sichtbar waren. Kein Korsett, keine Unterröcke, keine Reifröcke. Ein Keid, das man ganz ohne Hilfe an- und ausziehen kann.

Alle wollten solche Kleider haben. Alle Damen der Wiener Gesellschaft sind in diesem Aufzug auf der Wollzeile auf- und abspaziert und am Wochenende am Semmering. Ich natürlich auch.

Es war das neue Selbstbewußtsein der Frau. Wien war das Zentrum der Moderne.

Wir hatten sehr bewußt in dieser Zeit gelebt. Alle Leute, mit denen wir verkehrten, waren so. Es gab keine neue Erkenntnis, keine gesellschaftliche Errungenschaft, keine neue Kunstströmung, kein neues Buch, das spurlos an uns vorübergegangen wäre. Es gab die Weltausstellungen, es gab neue Zeitschriften, wir hatten plötzlich zu allem Zugang. Man spürte wirklich, dass ein neues Jahrhundert begann.

  1. Rückblende:

Klimt:

Erzähle mir, was Du gelesen hast!

Die junge Adele:

Was meinst Du?

Klimt:

Ich hör Dir so gerne zu, wenn ich male!

Die junge Adele:

Mit den Russen bin ich jetzt einmal durch. Flaubert ist genauso gut, finde ich, oder besser sogar. „Madame Bovary“ fließt einfach so, er kommt völlig ohne Beschreibungen aus. Nichts ist wie etwas anderes bei ihm. Verstehst Du das?

Und dann hab ich noch etwas gelesen: „Geschlecht und Charakter“, von Otto Weiniger, weil alle davon sprechen im Moment.

Klimt:

Ist das nicht der junge Mann, der sich umgebracht hat letzte Woche?

Die junge Adele:

Ja, er hat dieses Pamphlet über Frauen geschrieben und hat sich erschossen. Er war erst 23 Jahre alt. Aber es ist wirklich sehr beeindruckend. Eine unglaubliche psyocholgische Abhandlung über Sexualität. Oder besser, wie er sich die weibliche Sexualität vorgestellt hat.

Klimt:

Hat sich Freud schon dazu geäußert?

Die junge Adele:

Keine Ahnung. Er war schon länger nicht mehr bei uns. Ich glaube, er ist gerade in Paris. Ich werde Ferdinand sagen, dass er ihn das nächste Mal fragen soll, was er davon hält, wenn er ihn zur Analyse trifft.

Die goldene Adele:

Ich liebte freigeistige Männer und selbstbewußte Frauen. Gustav auch, und Ferdinand auch. Wir hatten eine sehr aussergewöhnliche Beziehung. Wir waren füreinander ein echtes Glück. Wir hielten nichts von Spießbürgerlichkeit. Gustav erzählte mir von seine Affairen und seinen Projekten. Er war mein bester Freund, mit dem mich so viel verband und meine Leidenschaft zu ihm wandelte sich ständig, und Ferdinand war mein geliebter, geliebter Ehemann, mit dem ich so vieles gemeinsam entdeckte und erlebte, bei ihm war ich zu Hause und war es bis zu meinem Tod. Wir waren unzertrennlich. Und beide schätzten einander so sehr! Das war ein wunderbares Leben. Wir erlebten einen gesellschaftlichen Aufbruch, wie er noch 10 Jahre davor undenkbar gewesen wäre. Wir konnten alles miteinander teilen.

5.Rückblende:

Die junge Adele:

Gustav, ich bin wieder schwanger!

Klimt:

Meine schwangere Judith! Laß Dich umarmen!

Die junge Adele:

Ferdinand freut sich so! Hoffentlich geht es diesmal gut!

Klimt:

Bestimmt, meine Liebe! Du bist eine schöne, gesunde junge Frau!

Die junge Adele:

Trotzdem hab ich schon 2 Kinder verloren, Gustav!

Klimt:

Laß mich Deinen Bauch malen! Ich brauch einen schönen schwangeren Bauch für mein Beethoven Fries in der Sezession. Jetzt, wo ich dort Präsident bin, schenke ich ihnen eine riesige Installation. Lauter Wandgemälde um eine Statue von Beethoven. Er war das größte Genie in der Musikgeschichte. Komm, stell Dich dort hin!

Die junge Adele:

Noch nicht, man sieht ja noch nichts! Da muss ich in 5 Monaten wieder kommen!

Klimt:

Dann beeil Dich mit dem Wachsen! Ich kann es nicht erwarten!

Die goldene Adele:

Aber dazu kam es nicht mehr. Ich habe alle meine 3 Kinder verloren.

Wer sind Sie eigentlich?

Edwin:

Edwin, ich heiße Edwin. Ich bin der Assistent von Dr. Schönberg. Also, sein wichtigster Assistent, denn er vertraut mir immerhin Ihr Gemälde an...

Die goldene Adele:

Na schau, ein wichtiger junger Mann. Schön. Malen Sie?

Edwin:

Ich bin Jurist.

Die goldene Adele:

Ah, was Anständiges. Da wird Ihre Mutter Freude haben mit Ihnen.

Edwin:

Hat sie, hat sie.

Die goldene Adele:

Haben Sie eine Zigarette?

Edwin:

Nein, es ist Rauchverbot, leider.

Die goldene Adele:

Sind wir auf der Krankenstation?

Edwin:

Nein, in einem öffentlichen Verkehrsmittel.

Die goldene Adele:

Und da gibt’s kein Raucherabteil?

Edwin:

So etwas gibt es heute nicht mehr. Sie vergiften damit Ihre Umwelt. Das ist politisch nicht korrekt.

Die goldene Adele:

Der Tod ist nie politisch korrekt. Das wollen die Menschen nicht wahrhaben. Ich wollte mich mit dem Rauchen damals genußvoll selbst vergiften. Ich habe es geliebt das Rauchen. Es war so elegant. Ich hatte eine riesige Sammlung von Zigarettenspitzen, aus Indien, Italien, England und Frankreich. Wir haben alle intensiv gelebt, jeden Augenblick, als wäre er der letzte. Und viele sind ja dann auch jung gestorben. Auch ganz ohne Krieg. Man wußte ja nie, wann es soweit ist. Wie mit Trakl oder mit Schiele.

Edwin:

Haben Sie Egon Schiele gekannt?

Die goldene Adele:

Nein, ich habe ihn nie getroffen – doch einmal. Aber, naja, davon wußte er nichts.

Edwin:

Wie ist das möglich?

Die goldene Adele:

Er kam mitten in der Nacht zu Gustav. Und ich war gerade bei ihm und mußte mich natürlich verstecken. Aber ich habe alles mitgehört, soviel ich verstehen konnte im Schrankraum.

  1. Rückblende:

Klimt:

Was machst Du um diese Uhrzeit bei mir, Egon?

Schiele:

Ich komme wieder nach Wien zurück, Gustav. Endgültig.

Klimt:

Das Ende Eurer Neulengbacher Idylle?

Schiele:

Ja, es reicht mir! Ich kann mich dort nicht mehr blicken lassen.

Klimt:

Was ist denn geschehen?

Schiele:

Ich habe ein Mädchen gemalt. Bei mir im Atelier. Sie ist 14. Dann ist ihr Vater sie abholen gekommen und hat das Bild gesehen. Es war ein Akt. Er fand es schrecklich und hat behauptet, dass ich mit ihr geschlafen habe. Dann hat er mir die Polizei an den Hals gehetzt und mich angezeigt.

Klimt:

Und stimmt das?

Schiele:

Bitte? Was denkst Du, Gustav! Die Wally hätte mich doch sofort umgebracht! Du weißt, wie eifersüchtig sie ist!

Klimt:

Immernoch!

Schiele:

Ja. Das wird immer schlimmer. Und außerdem: ich schlafe nicht mit meinen Modellen – wie Du zum Besipiel.

Klimt:

Ja, aber bei mir ist da keine Gefahr - meine Modelle sind über 18.

Schiele:

Ja, und reich! Ich weiß! Mir hat der Richter dann Gott sei Dank geglaubt, dass nichts war mit dem Mädchen, aber ganz freisprechen wollte er mich dann doch nicht! Ich bin doch ein Künstler! Also hat er mich zu 24 Tagen Arrest verurteilt wegen Verbreitung unzüchtiger Bilder. Du kannst Dir nicht vorstellen, was Wally mitgemacht hat, während ich im Gefängnis war. Plötzlich hat man sie gemieden im ganzen Dorf und plötzlich werfen sie uns vor, dass wir in wilder Ehe leben... wir können nicht mehr auf die Straße gehen! Es ist unerträglich!

Klimt:

Und wenn Du einige Zeit nur Landschaftsbilder malst? Oder fahre nach Czesky Krumlov, da, wo Deine Mutter herkommt, das liebst Du doch so! Vielleicht inspiriert Dich das! Mach ein paar Bilder einer Dorfidylle!

Schiele:

Ich bin inspiriert! Daran liegt es nicht! Ich brauche nur Geld für die Leinwand und für die Farben!

Klimt:

Ich hab Dir immer gesagt, Egon, male doch, naja, ein bißchen gefälliger, dann könnte ich Dir einige meiner Großbürgersgattinnen vermitteln. Aber so, wie Du malst... welche Dame würde sich denn von Dir freiwillig malen lassen? In welchen Salon könnte man sich so etwas denn aufhängen? Was würden all die Ehemänner sagen, wenn ihnen von ihren Wohnzimmerwänden die roten Vaginas ihrer Gattinnen aus deren verkrümmten Körpern entgegenleuchten?

Schiele:

Ich male, was ich sehe! Und ich sehe das Wesen der Menschen. Ich kann nicht anders.

Klimt:

Siehst Du Egon, ich habe es da um einiges leichter. Ich bin kein Künstler. Ich war nie auf einer Akademie. Frag mich, was Kunst ist! Ich hab doch keine Ahnung! Ich bin Kunsthandwerker. Das ist ein solider Beruf. Mein Vater war Goldgraveur. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie. Und ich habe alle möglichen Techniken, die ich alle einsetzen kann, um meine Kunden zufriedenzustellen.

Schiele:

Ich kann nicht so malen, wie Du! Bei Dir ist alles so hübsch – und es leuchtet und glänzt. Deine Goldtechnik ist ja auch ganz außergewöhnlich!

Klimt:

Das gefällt den Leuten! Ein Portrait, das aus einem Berg von Blattgold hervorleuchtet und selbst in seiner Anmut das viele Gold überstrahlt. Das ist die neue Frau, Egon! Das ist die neue Schönheit! 20.000 Kronen! Verstehst Du, Egon! Das ist der Erfolg, der zählt!

Schiele:

Und Deine Frauen haben alle so perfekte Brüste! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass alle Deine Modelle so perfekte Brüste haben!

Klimt:

Es sind vornehme Damen, Egon! Die beste Gesellschaft von Wien. Ich male die Linien so, wie sie gefallen.

Schiele:

Linien?

Klimt:

Siehst Du denn keine Linien beim Malen?

Schiele:

Ich sehe die Seele der Frau, ihre unerfüllte Sexualität, ihre Sehnsucht nach Befreiung, und die jungen Mädchen, die gerade erwachen, deren Körper aufblühen... das pochende Blut, das sehe ich...

Und auch den Hunger, die Schläge ihrer Väter und die Hoffnungslosigkeit ihres Lebens.

Klimt:

Male Linien, Egon! Und dann wirst Du Erfolg haben!

Schiele:

Ich probiere ja, schön zu malen, Gustav, erinnerst Du Dich, als Du mich damals in die Sezession geholt hast... ein Auftragswerk... ich wollte ein Bild malen, das zu Deinem Beethoven Fries passt, das die neue Zeit repräsentiert. Leuchtend und schön! Und es ist die sitzende Wally geworden – und alle haben es häßlich und überzeichnet gefunden. Aber es war die Wally und sie ist so wundervoll. Sie hat es halt schwer. Warum soll man das nicht sehen? Sie hat sich schrecklich aufgeregt! Und dann hab ich mich selbst gemalt, und da habe ich nur mein eigenes Unglück gesehen! Wie ich leide unter meinem eigenen Strich! Unser allerletztes Geld hab ich damals für diese Leinwand ausgegeben. Mein elendes Selbstportrait. 4 Tage haben wir gehungert dafür. Wally war wütend.

Klimt:

Schau diese Vase an, Egon. Schau auf die Linien. Siehst Du die Blumen? Male doch einfach einmal, was Du siehst, male doch einfach, was da ist! Die Blumen leiden nicht, sie blühen.

Schiele:

Abgeschnitten und dem Verblühen geweiht. Ich sehe nur Schatten und ein bißchen Licht. Wo ist da eine Linie?

Klimt:

Es wird dir bald besser gehen, Egon! Dann siehst Du nicht mehr alles so schwarz!

Schiele:

Linien! Da sind nur Schatten!

Klimt:

Komm nach Wien zurück. Ich nehm Dich als Mitglied in den Bund Österreichischer Künstler auf, da bin ich gerade Präsident. Dann kommen die Kritiker und Mäzene nicht mehr herum um Dich. Du kannst heute unten in meinem Atelier schlafen.

Die goldene Adele:

Und dann war Schiele weg.

Edwin:

Was war dann?

Die goldene Adele:

Gustav hat ihm geholfen. Er war ein sehr sozialer Mensch. Schiele war dann bald so anerkannt, wie noch nie zuvor. Obwohl ihn seine Neulengbacher Geschichten immer wieder bis nach Wien eingeholt haben. Die Leute haben sich nicht satthören können an diesen Gerüchten.

Im Krieg hat er sich dann freiwillig zum Militär gemeldet und ist kurz nach Gustavs Tod an der Spanischen Grippe gestorben. Da war er erst 28.

Edwin:

Und Klimt?

Die goldene Adele:

Was meinen Sie?

Edwin:

Wie ist Klimt gestorben?

Sie seufzt

7. Rückblende:

Die junge Adele:

Ferdiand, Schatz, was hast Du? Wie? Gustav ist tot? Ich war doch erst gestern bei ihm! Es war ein Gehirnschlag? So plötzlich? Wie kann so etwas passieren? Die Seele kann man heilen heutzutage, aber das Gehirn nicht? Ich kann es nicht fassen, ich kann es nicht fassen, sag dass das nicht stimmt! Das ist ein böser Traum...gerade jetzt!! Wieso nicht erst in einigen Jahren? Er hatte noch so viel vor!

Ich habe Kopfweh!

Die goldene Adele:

Von da an hatte ich immer Kopfweh.

Edwin:

Hatten Sie dann keine Salons mehr in Ihrem Haus?

Die goldene Adele:

Doch, unsere Salons waren wichtige Ereignisse! Da konnte man Leute treffen und auch in einem geschützten Rahmen neue Gedanken austauschen.

Edwin:

Wieso war ein geschützter Rahmen so wichtig?

Die goldene Adele:

In unserem Hause verkehrten ja nicht nur Künstler, sondern auch die sozialdemokratischen Vordenker. Von Anfang an. Das waren politische Revolutionäre zu Zeiten der Monarchie. Julius Tandler war oft unser Gast, diskutierte über eine flächendeckende Gesundheitsvorsorge für alle Bewohner der Kronländer, egal von welchem Stand sie waren. Er erzählte auch über seine wissenschaftlichen Studien am Schädel von Joseph Haydn. Er war ganz versessen darauf, das Genie anatomisch nachweisen zu können. Victor Adler war auch oft da und Otto Glöckel, der über die Bildungspolitik und ein neues Schulsystem referierte. Ferdinand war begeistert von diesen Ideen. Alles war im Aufbruch, und später, nach dem ersten Weltkrieg, war dann der Raum da, das alles umzusetzen. Aber vorbereitet wurde das alles schon in den letzten 20 Jahren davor.

Ich las viele politische Schriften, das Manifest über die Rolle der Frau von Rosa von Luxemburg und wußte, dass Klimt genau diese Frau malte. Das war die Frau, von der er träumte. Und wir Frauen träumten auch von ihr.

Ich kann mich noch erinnern, als Theodor Herzl, der Herausgeber der Neuen Freien Presse starb. Sie wissen, er hat dieses kleine Büchlein geschrieben, „Der Judenstaat“, und alle haben ihn belächelt – aber als er starb, da kamen plötzlich aus der ganzen Monarchie über 250.000 Juden zu seinem Begräbnis. Das hat alle völlig überrascht.

Bei uns sprach man wochenlang von nichts anderem.

Edwin:

Ja, damals konnte man sich das wahrscheinlich garnicht vorstellen, was dieses Buch für eine Wirkung hatte. Herzl hat unglaubliche Dinge in Bewegung gesetzt. Immerhin war er der Begründer des Zionismus, also irgendwie der geistige Vater von Israel.

Die goldene Adele:

Politik war ein ganz brisantes Thema damals. Die unterschiedlichsten Theorien wurden diskutiert. Karl Renner war bei uns im Salon und erzählte von sozialdemokratischen Staatsideen. Man soll den Wohlstand gerecht verteilen, damit alle etwas davon haben. Wenn in einer Gesellschaft eine zu große Schere zwischen Reichen und Armen besteht, verursacht das soziale Spannungen und Kriminalität. Jeder soll eine Chance auf Bildung haben, auch die Frauen und die Arbeiter - und auf ärztliche Behandlung! Und jeder soll seine eigene Toilette haben und ein Badezimmer. Karl Renner hat darüber an der Universität Vorlesungen gehalten, zu denen alle wichtigen Leute kamen, sogar Trotzki war regelmäßig dort - und 1908 hat der sogar einen Freund aus Moskau in Renners Vorlesung mitgebracht, einen gewissen Josef Stalin. Der war zwei mal in Wien bei Renner’s Vorlesungen. Das war dann später wichtig, nach dem Krieg 1945, denn da stimmte Stalin dann zu, dass Renner eine österreichische Regierung bildet, denn er hat ihn noch von damals gekannt und ihm vetraut. Renner hatte dann innerhalb von 2 Wochen mit seinem Team eine neue freie Verfassung erarbeitet, die Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit postuliert hat. Gegen Stalin.

Für Ferdinand und mich war es unsere ganz große Überzeugung, alles daran zu setzen, diese Utopien umzusetzen. Dafür haben wir gelebt und gaben auch ein Vermögen dafür aus. Und das taten wir sehr gerne! Ich vermachte den Kinderfreunden 50.000 Kronen und dem Arbeiterverein genausoviel. Und ich bat Ferdinand in meinem Testament nach seinem Tod meine Portraits von Klimt der neuen „Österreichischen Staatsgalerie“ im Schloß Belvedere zu schenken! Ich habe sie geliebt! Die Portraits und die Österreichische Staatsgalerie! Ich weiß noch, wie sie eröffnet wurde!

Die junge Adele:

Ferdinand, das ist ja so schön! Hättest Du Dir das jemals vorgestellt? Sei ehrlich! Dass wir das schon so bald erleben dürfen! Die „Österreichische Staatsgalerie“! Kein „k&k“ im Namen! Die Gemäldegalerie einer demokratischen Republik! Was Schöneres gibt es eigentlich garnicht!

Die goldene Adele:

Stellen Sie sich das vor, junger Mann, da wo Franz Ferdinand gewohnt hatte, Sie wissen schon, der Thronfolger von Kaiser Franz Josef, der 1914 in Sarajevo erschossen wurde, da hingen jetzt die Gemälde von Klimt und Schiele! Und mein Ferdinand war der ehrenamtliche Präsident der Österreichischen Staatsgalerie! Das war unsere glücklichste Zeit!

Die junge Adele:

Wenn sie das beide noch erlebt hätten, Gustav und der Schiele! Wie sehr hätten sie sich gefreut! Die hätten das für einen Scherz gehalten!

Die goldene Adele:

Sie sind beide 1918 gestorben, in dem Jahr, in dem die Monarchie untergegangen ist!

Und 1925 bin dann auch ich gestorben.

An einer Gehirnhautentzündung. Ich hatte ja wirklich immer Kopfweh. Seit dem Tod von Gustav. 9 Jahre später hat man dann das Penizilin erfunden, und ich hätte geheilt werden können. Aber ich hab nicht viel versäumt, sag ich immer.

Edwin:

Und Ferdinand?

Die goldene Adele:

Er hat uns alle überlebt, der Unglückliche.

Der gesellschaftliche Aufbruch, von dem wir geträumt hatten, wurde abgelöst von einer rabiaten und dummen politischen Bewegung, die statt auf Freiheit auf Krieg setzte, statt auf Selbstbestimmtheit auf Diktatur und statt auf Würde auf Erniedrigung. Die Nazis kamen und boten den Dümmsten der Dummen eine politische Heimat. Und diese Bewegung erfasste immer mehr Menschen und trieb sie in den grausamsten Krieg der Geschichte! Sogar Josef Hoffmann sympathisierte kurzfristig mit ihren Ideen eines Großdeutschen Reichs. Ferdinand konnte es nicht fassen. Er spendete fast sein ganzes Vermögen den Bildungsvereinen der Arbeiter, um den Anschluß Österreichs an das Nazi Deutschland zu verhindern. Aber vergeblich. 1938 rettete er sich gerade noch über Prag nach Zürich, all sein Hab und Gut mußte er aber in Wien zurücklassen. Unser Schloß in Tschechien diente dann dort ausgerechnet dem berüchtigten Reichsverweser Heydrich als Nazihauptquartier, unsere Kunstsammlung wurde in Wien von den Nazis dann tatsächlich ins Belvedere geschafft und auch in andere Museen. Maria Altmann, meine Nichte, unsere Erbin, flüchtete mit ihrem Mann nur mit einem Regenmantel bekleidet aus ihrem Gestapo Hausarrest, weil sie sagte, sie müsse mit ihrem Mann nur kurz zum Zahnarzt - und schaffte es bis Kalifornien. Sie liessen auch alles, was sie besaßen, in Wien zurück -und das war einiges. Ferdiand starb im Oktober 1945 völlig verarmt und einsam in Zürich.

Edwin:

Wenigstens hat er noch das Ende des Krieges erlebt. Das muss ein Trost für ihn gewesen sein, zu sehen, wie das Nazi Reich untergeht.

Die goldene Adele:

So lange hatte er durchgehalten, mein Ferdinand! Er versuchte noch bis zu seinem Tod alles wieder zurückzubekommen, aber vergeblich. Meine Portraits konnte er der Österreichischen Galerie nicht mehr schenken, denn sie hatte sie ja mittlerweile bereits längst geraubt – und gewollt hätte er es definitiv auch nicht, nach allem, was ihm die Östereicher angetan haben! Und ich hätte mich im Grab umgedreht! Glauben Sie mir das!

Ja, ich, ich hing dann schon längst im Belvedere und starrte auf das Salesianerkloster. 60 Jahre lang. Auf die scheinheiligen Klosterschwestern! Haben Sie eine Zigarette?

Edwin:

Nein, tut mir leid.

Die goldene Adele:

Sie rauchen nicht?

Edwin:

Nein, man darf ja auch nirgends mehr rauchen.

Die goldene Adele:

Wo bringen Sie mich eigentlich hin?

Edwin:

Also, Ihr Bild, oder Sie, naja, es ist das teuerste Bild der Welt. Und mein Chef, Dr. Randol Schönberg, hat es für Ihre Nichte, Maria Altmann, nach vielen Jahren und aufwendigen Prozessen restituiert bekommen. Die Republik Österreich hatte sich ja bis zuletzt geweigert, das Bild zurückzugeben, obwohl es ganz klar Raubkunst ist. Es war seltsam, dass Österreich ausgerechnet mit der Argumentation der Nazis versucht hatte, die Restitution zu hintertreiben. Aber es war nicht so kompliziert, den Raub zu belegen. Es war kein schwerer Fall, sondern nur langwierig, sagt Dr. Schönberg immer.

Die goldene Adele:

Schönberg? Hat der was mit dem Komponisten zu tun?

Edwin:

Sein Enkel.

Die goldene Adele:

Mir war der Mahler lieber. Aber auch wegen Alma. Sie war ja so verliebt. Aber sagen Sie das Ihrem Chef nicht. Der kränkt sich sonst vielleicht.

Edwin:

Jetzt werden Sie auf den Central Park schauen. In New York.

Die goldene Adele:

Ist wohl kein Barockgarten?

Edwin:

Nein, aber sehr schön. Klosterschwestern werden Sie dort sehr selten sehen, aber viele, freie Menschen.

Die goldene Adele:

Mit Sozialversicherung, kostenloser Schulbildung und Chancengleichheit für alle Menschen - und die ohne Krieg leben?

Edwin:

Wir arbeiten daran...

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Schönberg:

Edwin, Sie sind noch im Büro! Es war so still hier drinnen und ich hab noch Licht gesehen!

Edwin:

Ja, Dr. Schönberg.

Schönberg:

Die Goldene Adele ist angekommen. Der ganze Weg vom JFK zur „Neuen Galerie“ war gespickt mit zivilen Security Fahrzeugen. Adele wurde empfangen, wie eine Staatspräsidentin. Die Spedition hat ganze Arbeit geleistet. Es wurde noch nie so ein ausgeklügelts Sicherheitssystem eingesetzt für einen Kunsttransport. Gerade wurde ihr Bild enthüllt in der „Neuen Galerie“. Die „Goldene Adele“ ist in New York! Ein großer Augenblick!

Edwin:

Gratuliere! Ein Riesenerfolg!

Schönberg:

Die internationale Presse war da, Hubertus Czernin, Botschafter Lauder und sogar der Österreichische Botschafter hat es sich nicht nehmen lassen zu kommen.

Haben Sie den Akt „Altmann vs. Republik Österreich“ in unser Archiv gebracht?

Edwin:

Nein, hier liegt er, auf meinem Schreibtisch. Ich habe ihn gerade noch einmal durchgeblättert.

Schönberg:

Bringen Sie ihn bitte noch ins Archiv bevor Sie gehen und sperren Sie gut ab! Bis morgen, und danke!

Edwin:

Ebenfalls danke, Dr. Schönberg! Bis morgen.

Ende

© Markus Kupferblum

2012